Somatisches Training & Traumaheilung: Körperarbeit die heilt

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somatisches training
Bild von Thirdman (Pexels)

Traumaheilung geht oft über die rein geistige Arbeit hinaus. 

Viele wissen es nicht, doch unsere Gedanken, Gefühle und Emotionen beeinflussen sämtliche Abläufe in unserem Körper.

Das heißt, wenn unserem Geist etwas Schlimmes widerfährt, reagiert unser Körper zu 100% auch drauf.

Um Traumata nachhaltig zu lösen und unseren Körper und Geist zu heilen, müssen wir mit beiden im Einklang arbeiten.

Bei der Traumatherapie wird daher immer öfter Somatisches Training eingebracht.

Was es damit genau auf sich hat, erkläre ich dir in diesem Artikel.


Was ist somatisches Training?

Somatisches Training ist ein körperorientierter Ansatz, der darauf abzielt, die Verbindung zwischen Körper, Geist und Emotionen bewusst zu machen. 

Es basiert auf der Erkenntnis, dass traumatische Erfahrungen im Körper gespeichert werden und sich in Form von Verspannungen, Stressmustern, Blockaden oder eingeschränkter Beweglichkeit zeigen können.

Im somatischen Training lernen Menschen, sich auf körperliche Empfindungen zu konzentrieren, subtile Veränderungen wahrzunehmen und Bewegungen bewusst auszuführen. So kann man tiefsitzende Spannungen lösen, die Nerven regulieren, den Körper leichter mobilisieren und die Selbstwahrnehmung fördern.

Statt Training könnte man auch Somatic Movements sagen. Es ist kein Training, welches mit Fitness – Workouts gleichzusetzen ist. Das Wort Training impliziert hier eher das Ausführen von gezielten und regelmäßigen Abläufen


Somatic Experiencing: Die Entstehung der somatischen Technik von Peter Levine

Dr. Peter Levine, ein Pionier auf dem Gebiet der Traumaheilung, entwickelte Somatic Experiencing (SE) basierend auf seinen Studien zu Trauma und Stress bei Tieren in der Wildnis. Er beobachtete, dass Tiere nach einer Bedrohung durch Zittern, Schütteln oder andere Bewegungen den Stress „entladen“ und so Traumata vermeiden können.

Im Gegensatz dazu neigt der Mensch dazu, traumatische Energie im Körper einzuschließen, was zu chronischem Stress oder Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) führen kann. Somatic Experience setzt an diesem Punkt an: Durch langsames, behutsames Arbeiten mit Körperempfindungen und Bewegungen wird der natürliche Heilungsprozess reaktiviert.

Wie wirkt somatisches Training auf den Körper?

Das Training hat eine tiefgreifende Wirkung auf den Körper, insbesondere auf das Nerven- & Hormonsystem und den Stresshaushalt. Es nutzt bewusste Bewegungen, Atemübungen und achtsame Körperwahrnehmung, um physiologische Prozesse zu regulieren und das innere Gleichgewicht wiederherzustellen. 


Wirkung auf das Nervensystem

Das autonome Nervensystem (ANS), das aus dem sympathischen und dem parasympathischen-Nervensystem besteht, spielt eine zentrale Rolle bei der Stress- und Traumaverarbeitung. Somatisches Training kann dieses System ausgleichen und neu regulieren:

Sympathisches Nervensystem (SNS) – „Kampf-oder-Flucht-Modus“

Das SNS wird in Stresssituationen aktiviert und bereitet den Körper auf Aktion vor: Herzfrequenz und Blutdruck steigen, die Atemfrequenz erhöht sich, und der Körper schüttet Stresshormone wie Adrenalin und Noradrenalin aus.

  • Somatic Movements beruhigen das SNS, indem es dem Körper signalisiert, dass keine Gefahr mehr besteht. Dies geschieht durch langsame, rhythmische Bewegungen und Atemübungen, die die Übererregung reduzieren.

Parasympathisches Nervensystem (PNS) – „Ruhe-und-Verdauungs-Modus“

Das PNS ist für Erholung und Regeneration verantwortlich. Es wird oft durch chronischen Stress oder Traumata unterdrückt, was zu einem Zustand von Erstarrung oder Erschöpfung führen kann.

  • Somatische Übungen aktivieren das PNS, indem sie den Vagusnerv stimulieren. Dies beruhigt den Körper, verlangsamt die Herzfrequenz und fördert tiefe Entspannung.

Wirkung auf den Cortisolspiegel

Cortisol, das „Stresshormon“, wird von den Nebennieren in Reaktion auf Stress ausgeschüttet. Chronisch erhöhte Cortisolspiegel können zu Gewichtszunahme, Schlafproblemen, Entzündungen und einer geschwächten Immunfunktion führen.

Senkung des Cortisolspiegels

  • Regulation des HPA-Systems: Das somatische Training wirkt direkt auf die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA-Achse), die die Cortisolausschüttung steuert.
  • Beruhigung durch Atmung: Tiefe Atemübungen aktivieren den Parasympathikus, was die Cortisolproduktion reduziert.
  • Abbau von Spannung: Durch körperliche Entladung von Stress und Energie wird weniger Cortisol ausgeschüttet.

Wirkung auf Hormone und das endokrine System

Das endokrine System, das die Hormonproduktion reguliert, ist eng mit dem Nervensystem verbunden. Chronischer Stress und Traumata können das hormonelle Gleichgewicht stören, z. B. durch erhöhte Cortisolspiegel, eine verringerte Produktion von Serotonin oder Dysbalancen bei Sexualhormonen wie Östrogen und Testosteron.

Somatisches Training balanciert Hormone aus

  • Steigerung von Serotonin: Die achtsame Bewegung und Entspannung im somatischen Training fördern die Produktion von Wohlfühlhormonen wie Serotonin, das Stress reduziert und die Stimmung verbessert.
  • Reduktion von Adrenalin und Noradrenalin: Durch die Beruhigung des Nervensystems werden Stresshormone schneller abgebaut.
  • Regulation der Sexualhormone: Chronischer Stress kann die Produktion von Sexualhormonen stören. Somatische Methoden wirken regulierend, indem es Stress reduziert und das Gleichgewicht im Körper fördert.

Zusätzliche Effekte auf den Körper

Neben den direkten Auswirkungen auf das Nerven- und die Hormonsystem gibt es noch weitere positive Effekte:

  1. Verbesserte Durchblutung: Die bewusste Bewegung fördert die Durchblutung und damit die Versorgung der Zellen mit Sauerstoff und Nährstoffen.
  2. Entspannung der Muskulatur: Verspannte Muskeln, die durch Stress oder Trauma oft chronisch verhärtet sind, können sich durch somatische Übungen lockern.
  3. Verbesserte Verdauung: Durch die Aktivierung des Parasympathikus wird die Verdauung angeregt, die im Kampf-oder-Flucht-Modus oft beeinträchtigt ist.
  4. Stärkung des Immunsystems: Ein ausgeglichenes Nervensystem unterstützt die Immunfunktion, da weniger Energie für die Stressbewältigung benötigt wird.
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Bild von: Anastasia Shuraeva (Pexels)

Warum und wie kann somatisches Training Traumata heilen?

Traumata beeinflussen das autonome Nervensystem (ANS), indem sie den Körper in einem Zustand von Kampf, Flucht oder Erstarrung festhalten.

Wie in der Arbeit von Levine beschrieben, lockern sich Tiere nach Stresssituationen manchmal durch Schütteln, strecken sich, beginnen sich zu säubern oder laufen fuer 1 Minute wild durch die Gegend. Damit lösen sie (unbewusst) die Anspannung, die sich in ihrem Körper aufgebaut hat. Außerdem bauen sie damit schneller das ausgestoßene Adrenalin ab.

Doch wir Menschen tun meistens nichts nach traumatischen oder extrem stressigen Situationen.

Unsere Gesellschaft hat uns so sehr von unserem natürlichen Verhalten entfernt, dass wir versuchen immer die Fassung zu behalten und uns „normal“ zu verhalten. Andere Menschen würden uns fuer „komisch“ oder gar verrückt halten, wenn wir mal alle Emotionen, die in uns schlummern, frei rauslassen würden. Schlimmer noch, viele von uns haben sogar verlernt, Emotionen wirklich zu spüren und sie zu „entladen“. 

Achtsamkeit gegenüber deinem Körper hilft, diese Muster zu durchbrechen.

Außerdem hilft das Training, indem es:

  1. Die Körperwahrnehmung stärkt: Indem Menschen lernen, subtile körperliche Signale wahrzunehmen, entwickeln sie ein besseres Verständnis für ihre Emotionen und Stressreaktionen.
  2. Die somatische Entladung fördert: Durch gezielte Bewegungen oder Übungen kann angestaute Energie im Körper sicher freigesetzt werden.
  3. Die Selbstregulation unterstützt: Gewisse Bewegungsmuster helfen, das Gleichgewicht zwischen dem sympathischen und parasympathischen NS wiederherzustellen.

Somatische Übungen für Anfänger

Einsteiger können mit einfachen Übungen beginnen, um ihren Körper besser wahrzunehmen und erste Spannungen zu lösen:

  • Body-Scan: Scannen Sie Ihren Körper gedanklich von Kopf bis Fuß und achten Sie auf Empfindungen wie Wärme, Kribbeln oder Verspannungen.
  • Schüttelübung: Lockern Sie Ihren Körper, indem Sie Arme, Beine und Schultern leicht schütteln. Dies hilft, Stress abzubauen.
  • Atembewusstsein: Legen Sie die Hände auf den Bauch und atmen Sie langsam ein und aus. Spüren Sie, wie sich der Bauch hebt und senkt.

Hier findest du mehr zum Thema: somatische Übungen <<


Was ist Somatisches Yoga?

Somatisches Yoga ist momentan sehr im Trend. Es kombiniert Prinzipien des somatischen Trainings mit den Bewegungs- und Atemtechniken des Yoga. Es legt den Fokus auf langsame, bewusste Bewegungen und das Spüren von Empfindungen im Körper.

Beispielübung:

  • Katzen-Kuh-Position: Bewegen Sie sich sanft zwischen Katzen- und Kuhhaltung, während Sie sich bewusst auf Ihre Atmung und die Bewegungen in der Wirbelsäule konzentrieren.

Dieses achtsame Vorgehen macht somatisches Yoga besonders wirksam für die Traumaheilung und die Regulierung des Nervensystems.


Mit somatischem Training abnehmen

Die Methode kann auch dabei helfen, Gewicht zu verlieren, indem es die emotionale Verbindung zum Essen und den Umgang mit Stress verbessert. Viele Menschen kompensieren Stress durch emotionales Essen. Durch die Arbeit mit Körperwahrnehmung und das Lösen von Spannungen lernen sie, Stress auf andere Weise abzubauen.

Zudem fördert das Training einen gesunden Stoffwechsel, da es das Nervensystem beruhigt und die Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol reduziert, die häufig mit Gewichtszunahme in Verbindung stehen.

Somatischer Trainingsplan

Ein strukturierter Trainingsplan kann dabei helfen, Übungen in den Alltag zu integrieren:

  • Tag 1-2: Körperwahrnehmungsübungen wie Body-Scan oder Atemübungen.
  • Tag 3-4: Sanfte Bewegungsübungen wie Schütteln oder somatic Yoga.
  • Tag 5-6: Fokussierte somatische Entspannungsübungen, z.B. progressive Muskelentspannung.
  • Tag 7: Freier Tag mit Fokus auf achtsamer Bewegung, z. B. Spaziergänge in der Natur.

Meine Erfahrungen mit dem Körperbewusstsein

Auf meinem Weg zur Heilung habe ich viel ausprobiert. Die Kraft der sanften Bewegung hat mir bewusst gemacht, wie sehr ich mich von den Empfindungen meines Körpers abgekapselt hatte. Ich habe mich eher auf mein Umfeld und die Gefühle und Emotionen anderer Menschen fokussiert, als auf meine eigenen. Das passiert häufiger bei Personen mit einer Traumavergangenheit. Man erwartet, dass von anderen Menschen Gefahr ausgehen könnte, daher beginnt man sich eher auf das Umfeld zu fokussieren, statt auf sich selbst.

Durch die somatische Arbeit konnte ich meinen Geist und Körper wieder vereinen.

Heute spüre ich immer in mich hinein, wenn ich mich nicht wohl fühle. Ich versuche dann, mit der angespannten Körperstelle zu arbeiten.

Fazit

Das Somatische Training bietet einen sanften, aber effektiven Weg, um, unterstützend zur Therapie, tief verwurzelte Traumata zu heilen, Nerven- & Hormonsystem zu regulieren und das Wohlbefinden zu steigern. Es ist leicht zu erlernen, vielseitig und kann unproblematisch in den Alltag integriert werden – sei es durch einfache Übungen, Yoga oder strukturierte Online-Kurse.

Ob zur Traumaheilung, Stressbewältigung oder allgemeinen Selbstfürsorge: die somatische Körperarbeit lehrt dich die Fähigkeit zur Selbstregulierung. Die Übungen fördern deine Gesundheit und bringen Körper und Geist wieder zueinander. 

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Tiefer in das Thema SE kannst du beim Somatic Experiencing Deutschland e. V. eintauchen.

Autor

  • Gründerin vom Wise Woman Magazine | Kommunikationswirtin | Ernährungsberaterin nach traditioneller chinesischer Medizin | Coach für kognitive Verhaltenstherapie Techniken

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