Bindungstheorie Bowlby & Ainsworth – Bindungstypen verstehen
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Inhalt
Warum gibt es Menschen, die leicht und schnell Beziehungen finden, während andere Dauer-Single sind?
Viele Dauer-Singles fühlen sich wie verflucht.
Auch nach etlichen Dating-Versuchen scheint kein Licht am Ende des Tunnels zu sein.
Doch das hat tatsächlich recht wenig mit böser Magie zu tun, sondern mit dem Bindungstyp der jeweiligen Person.
Die wenigsten wissen es, doch die Antwort darauf liegt ganz einfach in der Psychologie. Genauer gesagt, in der Bindungstheorie von John Bowlby (& Ainsworth).
Diese Theorie erklärt, wie die Beziehungen, die wir als Kinder zu unseren Bezugspersonen aufgebaut haben, unser ganzes Leben prägen.
Lass mich dir die Grundlagen dieser interessanten Theorie näherbringen.
Die Grundlagen der Bindungstheorie
Die Bindungstheorie besagt, dass jeder Mensch von Geburt an ein grundlegendes Bedürfnis nach Nähe, Sicherheit und Schutz hat.
Durch dieses Bedürfnis überleben Babys und Kleinkinder in der Welt. Würden sie nicht versuchen, Schutz und Nähe bei den Eltern zu suchen, wären sie in der offenen Wildbahn in Gefahr.
Wenn du an einen Säugling denkst, der weint, bis er von einer Bezugsperson getröstet wird, siehst du die Bindungstheorie in Aktion. Diese Verhaltensweise ist ein Instinkt.
Doch unter bestimmten Umständen kann diese Interaktion gestört werden. Die Entwicklung der Bindung kann entweder positiv oder negativ beeinflusst werden.
John Bowlby, der Begründer dieser Theorie, stellte fest, dass die Art und Weise, wie sich ein Kind mit seinen Eltern oder anderen engen Bezugspersonen verbindet, maßgeblich beeinflusst, wie es später Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen wird. Wie die Eltern reagieren, wenn das Kind Nähe sucht, spielt hierbei eine große Rolle.
Die Bedeutung der „sicheren Basis“
Vielleicht hast du schon einmal gehört, dass Eltern als „sichere Basis“ für ihr Kind beschrieben werden. Das ist ein zentraler Gedanke der Bindungstheorie.
So sollte es in einer idealen Welt sein. Als Kind suchst du Schutz bei einer vertrauten Person, wenn du dich unsicher fühlst. Sobald du dich wieder sicher genug fühlst, wagst du dich erneut in die Welt hinaus – spielst, entdeckst und lernst. Das nennt man Explorationsverhalten.
Diese Balance zwischen Nähe und Entdeckung ist der Schlüssel zu einer gesunden Bindung.
Du weißt, Mama und Papa (oder die beiden Mamas oder die beiden Papas 🙂 )sind für dich da und beschützen dich.
Wenn du als Kind erlebt hast, dass deine Bedürfnisse nach Trost und Sicherheit zuverlässig erfüllt werden, lernst du, dass die Welt ein sicherer Ort ist. Diese Erfahrung hilft dir, als Erwachsener:e stabile und vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen.
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Die 4 Bindungstypen
Doch leider verläuft nicht jede Bindung dem Kind gegenüber so reibungslos. Je nachdem, wie deine Bezugspersonen mit deinen Bedürfnissen umgegangen sind, entwickelt sich ein bestimmtes Bindungsmuster.
John Bowlby hat in Zusammenarbeit mit Mary Ainsworth festgestellt, dass es vier Bindungstypen gibt. Einfach erklärt sehen diese wie folgt aus:
1. Sicher Bindung
Wenn du sicher gebunden bist, hast du gelernt, dass du auf andere zählen kannst. Deine Bezugspersonen waren einfühlsam und zuverlässig, wenn du sie gebraucht hast. Das macht dich auch später in Beziehungen selbstsicher, optimistisch und offen. Außerdem besitzt du ein gesundes Selbstwertgefühl.
2. Unsicher vermeidende Bindung
Vielleicht waren deine Bezugspersonen eher distanziert oder haben deine Bedürfnisse nach Nähe ignoriert. Das gab dir das Gefühl einer unsicheren Bindung. Als Kind hast du dann gelernt, deine Gefühle zu unterdrücken, um nicht abgewiesen zu werden. In der Folge fällt es dir als Erwachsener:e möglicherweise schwer, anderen zu vertrauen oder dich auf sie einzulassen.
3. Unsicher ambivalente Bindung
In diesem Fall waren deine Bezugspersonen manchmal da, manchmal nicht – und oft unberechenbar. Du hast vielleicht das Gefühl entwickelt, dass du ständig um Aufmerksamkeit kämpfen musst. Als Erwachsener könntest du dazu neigen, dich in Beziehungen besonders anhänglich zu verhalten. Bzw. hast du starke Verlustangst und brauchst dadurch viel Bestätigung durch die Nähe und Zuwendung deiner Partner.
4. Desorganisierte Bindung
Diese Form der Bindung entsteht häufig in Situationen, in denen Bezugspersonen selbst traumatisiert oder unsicher waren. In solchen Fällen kann es vorkommen, dass beide Elternteile überhaupt keine Bindung zum Kind verspüren. Wenn du desorganisiert gebunden bist, erlebst du oft widersprüchliche Gefühle von Nähe und Angst. Das kann Beziehungen sehr schwierig machen.
Wenn du mehr über die verschiedenen Bindungstypen der Bindungstheorie wissen möchtest, kannst du zusätzlich folgenden Artikel lesen:
Wie die 4 Bindungstypen in Beziehungen agieren
Wie kam Bowlby zu diesen Forschungsergebnissen?
John Bowlby entwickelte seine Bindungstheorie nicht aus einem einzigen Forschungsprojekt, sondern aus einer Kombination von klinischen Beobachtungen, theoretischen Einflüssen und empirischen Studien. Seine Arbeit war geprägt von seinen Erfahrungen als Kinderpsychiater und Psychoanalytiker sowie von den Erkenntnissen anderer Wissenschaftler.
Hier ein Überblick darüber, wie Bowlby zu seinen Forschungsergebnissen kam:
Erfahrungen als Kinderpsychiater
Während seiner Arbeit mit verhaltensauffälligen Kindern in den 1930er und 1940er Jahren bemerkte Bowlby, dass viele seiner jungen Patienten problematische Beziehungen zu ihren Eltern hatten. Besonders auffällig war, dass Kinder, die früh von ihren Eltern getrennt wurden oder eine instabile Bindung hatten, häufiger psychische und soziale Probleme entwickelten.
Bowlby interessierte sich besonders für Kinder, die in Heimen oder in Pflegefamilien aufwuchsen. Er stellte fest, dass eine fehlende emotionale Bindung an eine konstante Bezugsperson oft zu Schwierigkeiten führte, wie etwa einer eingeschränkten Fähigkeit, emotionale Nähe zu anderen Menschen aufzubauen.
Studie über „maternal deprivation“ (mütterliche Entbehrung)
Eines von Bowlbys bekanntesten Projekten war seine Arbeit für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in den 1950er Jahren. Er untersuchte die Auswirkungen von Trennung und Verlust auf Kinder, insbesondere während des Zweiten Weltkriegs, als viele Kinder von ihren Eltern evakuiert wurden. Seine Ergebnisse fasste er in dem Bericht „Maternal Care and Mental Health“ (1951) zusammen.
In diesem Bericht argumentierte Bowlby, dass die Trennung eines Kindes von seiner primären Bezugsperson – oft der Mutter – schwerwiegende emotionale und psychische Schäden verursachen kann. Dies nannte er den Effekt der „mütterlichen Entbehrung“.
Einfluss von Ethologie und Evolutionstheorie
Bowlby ließ sich stark von der Ethologie inspirieren, der Wissenschaft, die das Verhalten von Tieren in ihrem natürlichen Umfeld untersucht. Besonders wichtig war für ihn die Arbeit des österreichischen Zoologen Konrad Lorenz, der das Konzept der Prägung bei Tieren wie Gänseküken beschrieb. Lorenz zeigte, dass junge Gänse in einer sensiblen Phase nach dem Schlüpfen eine Bindung zu einer „Elternfigur“ eingehen – unabhängig davon, ob es sich dabei tatsächlich um ihre Mutter handelt.
Bowlby übertrug dieses Konzept auf den Menschen und schlug vor, dass auch menschliche Babys eine „sensible Phase“ haben, in der sie eine Bindung zu einer Bezugsperson entwickeln müssen, um emotional gesund zu bleiben. Er interpretierte Bindungsverhalten wie Weinen, Festklammern und Lächeln als evolutionär entwickelte Strategien, um die Nähe der Bezugsperson sicherzustellen.
Zusammenarbeit mit Mary Ainsworth
Mary Ainsworth, eine Kollegin und spätere Wegbereiterin der Bindungsforschung, unterstützte Bowlbys Theorie mit empirischen Daten. Während sie mit Bowlby zusammenarbeitete, entwickelte sie die berühmte „Fremde-Situation-Testmethode“, mit der sie unterschiedliche Bindungsmuster bei Kindern nachweisen konnte.
Ihre Studien in Uganda und später in den USA bestätigten Bowlbys Annahme, dass Kinder eine „sichere Basis“ benötigen, von der aus sie die Welt erkunden können. Ainsworths Forschung lieferte detaillierte Einblicke in die Qualität der Bindung zwischen Eltern und Kind und definierte die heute bekannten Bindungstypen (sicher, unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent, desorganisiert).
Der „Fremde-Situation-Test“ ist für Kinder im Alter von etwa 12 bis 18 Monaten konzipiert und läuft in einer kontrollierten Umgebung in acht kurzen Episoden ab. Er zielt darauf ab, das Bindungsverhalten des Kindes in einer fremden Situation zu erforschen.
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Ablauf des Tests
Eintritt in den Raum (Bezugsperson und Kind)
Mutter und Kind betreten einen Raum mit Spielzeug. Das Kind darf die neue Umgebung erkunden, während die Mutter ruhig bleibt. Ziel: Feststellen, wie sicher sich das Kind fühlt, wenn die Mutter anwesend ist.
Freies Spiel (Mutter und Kind allein)
Das Kind spielt weiterhin, während die Mutter passiv bleibt, aber ansprechbar ist. Ziel: Beobachten, wie das Kind die Mutter als „sichere Basis“ nutzt.
Ein Fremder betritt den Raum
Ein Fremder tritt ein, spricht kurz mit der Mutter und versucht, mit dem Kind zu interagieren. Ziel: Feststellen, wie das Kind auf eine fremde Person reagiert, während die Mutter anwesend ist.
Erste Trennung (Mutter verlässt den Raum)
Die Mutter verlässt den Raum, und das Kind bleibt allein mit dem Fremden. Ziel: Beobachten, wie das Kind auf die Trennung reagiert, wenn die Mutter den Raum verlässt.
Erste Wiedervereinigung (Mutter kehrt zurück)
Die Mutter kehrt zurück und der Fremde verlässt den Raum. Ziel: Feststellen, wie das Kind auf die Rückkehr der Mutter reagiert.
Zweite Trennung (Kind allein)
Die Mutter verlässt den Raum erneut, und das Kind bleibt dieses Mal ganz allein. Ziel: Beobachten, wie das Kind mit der völligen Trennung umgeht.
Fremder kehrt zurück
Der Fremde kommt zurück und versucht, das Kind zu beruhigen. Ziel: Feststellen, ob das Kind Trost vom Fremden annimmt.
Zweite Wiedervereinigung (Rückkehr der Bindungsperson)
Die Mutter kehrt zurück, und der Fremde verlässt den Raum. Ziel: Beurteilen, wie das Kind die Nähe der Mutter sucht und sich von der Trennung erholt.
Beobachtete Verhaltensweisen
Die Forscherinnen und Forscher achten auf folgende Aspekte:
- Nähe-Suchverhalten: Läuft das Kind zur Mutter, wenn sie zurückkommt?
- Vermeidungsverhalten: Ignoriert das Kind die Mutter?
- Widerstand/Ärger: Zeigt das Kind Ärger, Weinen und Schreien gegenüber der Mutter?
- Exploration: Spielt das Kind selbstständig, wenn die Mutter anwesend ist?
Die Bindungstypen (Ergebnisse)
Basierend auf diesen Beobachtungen wurden drei Hauptbindungsmuster (später vier) identifiziert:
- Sichere Bindung: Das Kind ist verstört, wenn die Mutter geht, freut sich aber über ihre Rückkehr und lässt sich trösten.
- Unsicher-vermeidende Bindung: Das Kind zeigt kaum Emotionen bei der Trennung oder Rückkehr der Mutter und vermeidet Nähe.
- Unsicher-ambivalente Bindung: Das Kind ist stark gestresst bei der Trennung, aber widersprüchlich bei Rückkehr (sucht Nähe, zeigt aber auch Ärger).
- Desorganisierte Bindung (später hinzugefügt): Das Kind zeigt widersprüchliche oder bizarre Verhaltensweisen (z. B. Erstarren, Angst vor der Bezugsperson).
Der Test ist bis heute eine der wichtigsten Methoden, um Bindungsmuster bei Kleinkindern zu erforschen.
Einfluss der Psychoanalyse
Obwohl Bowlby sich später von einigen zentralen psychoanalytischen Ideen distanzierte, wurde er von seiner Ausbildung als Psychoanalytiker stark geprägt. Besonders die Bedeutung früher Kindheitserfahrungen für die Persönlichkeitsentwicklung wurde ein Grundpfeiler seiner Theorie.
Bowlby verließ jedoch die klassische psychoanalytische Sichtweise, dass Kinder hauptsächlich von Trieben und inneren Konflikten getrieben werden. Stattdessen konzentrierte er sich darauf, wie echte zwischenmenschliche Beziehungen – insbesondere zwischen Kind und Bezugsperson – die emotionale Entwicklung beeinflussen.
Langzeitbeobachtungen und Fallstudien
Bowlby führte zahlreiche Langzeitstudien durch, um die Entwicklung von Kindern zu beobachten, die frühe Verlusterfahrungen gemacht hatten oder in Institutionen aufwuchsen. Eine seiner bekanntesten Fallstudien betraf delinquente (straffällige) Jugendliche, bei denen er herausfand, dass viele von ihnen emotionale Vernachlässigung oder Trennungserfahrungen in der Kindheit erlebt hatten.
Zusammenfassung: Bowlbys interdisziplinärer Ansatz
Bowlbys Erkenntnisse waren das Ergebnis eines interdisziplinären Ansatzes. Er kombinierte klinische Beobachtungen, tierexperimentelle Studien, evolutionstheoretische Überlegungen und psychoanalytische Prinzipien. Seine Bindungstheorie wurde später durch empirische Studien von Forschern wie Mary Ainsworth weiterentwickelt und bleibt bis heute eine der einflussreichsten Theorien in der Entwicklungspsychologie und Pädagogik.
Warum sind diese Erkenntnisse über Bindung so wichtig?
Bindung ist wie ein inneres Fundament, auf dem du dein Leben aufbaust. Sie beeinflusst, wie du Konflikte löst, wie du mit Stress umgehst und wie du mit anderen Menschen kommunizierst. Die gute Nachricht: Auch wenn du in deiner Kindheit keine sichere Bindung erlebt hast, kannst du als Erwachsener:e daran arbeiten, neue und gesunde Beziehungsmuster zu entwickeln.
Was kannst du tun, um eine sichere Bindung zu fördern?
Wenn du selbst Kinder hast, kannst du viel tun, um ihnen eine sichere Bindung zu ermöglichen. Hier ein paar Tipps:
- Sei einfühlsam: Versuche, auf die Signale eines Kindes zu achten und auf seine Bedürfnisse einzugehen.
- Bleib zuverlässig: Kinder brauchen Beständigkeit, um Vertrauen aufzubauen.
- Ermutige sie: Gib Kindern das Gefühl, dass sie sicher sind, während sie die Welt entdecken.
- Gestehe dir Fehler ein: Niemand ist perfekt. Was zählt, ist, dass du bereit bist, dich zu verbessern und eine liebevolle Verbindung herzustellen.
Auch Therapie, Coaching oder ein offenes Gespräch mit vertrauten Personen werden dich weiterbringen.
Wenn du selbst deine Beziehungsmuster bearbeiten und endlich den:die richtigen:e Partner:in finden willst, kann dir z.B. der folgende Kurse helfen:
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Erkenntnisse der Bindungstheorie Bowlby
Die Bindungstheorie zeigt uns, wie prägend unsere frühkindlichen Beziehungen sind – nicht nur für unser eigenes Leben, sondern auch für die Art und Weise, wie wir mit anderen Menschen in Kontakt treten. Indem du dir bewusst machst, wie Bindung funktioniert, kannst du nicht nur deine eigenen Beziehungen verbessern, sondern auch anderen helfen, starke, gesunde Verbindungen zu schaffen.
Dass eine sichere Bindung von großer Bedeutung ist, lässt sich nicht anzweifeln.