Wie die 4 Bindungstypen in Beziehungen agieren

Bindungstypen

Vielleicht hast du schon von davon gehört, dass es unterschiedliche Bindungstypen gibt. Jeder Mensch ist einzigartig und wir alle verhalten uns anders in zwischenmenschlichen Beziehungen. Doch dies passiert nicht einfach wahllos. Unser Verhalten läuft nach Mustern ab, die sich in der Kindheit entwickelt haben.

Leider sind das oft negative Muster, die wir uns durch schmerzhafte Erfahrungen mit unseren Eltern oder Bezugspersonen, in der Kindheit, angewöhnt haben.

Es gibt zum Beispiel Menschen, die Angst vor Nähe haben. Sie ziehen sich in Beziehungen zurück, wenn ihnen der Partner:in emotional zu nahe kommt. Und dann gibt es die Menschen, die Angst vorm Verlassen-werden haben. Sie fürchten sich eher, wenn der Partner:in Abstand nimmt. Dass dieses Verhalten zu Konflikten in der Partnerschaft oder in der Kennenlernphase führen kann, ist verständlich.

Doch was genau ist dort in der Kindheit passiert, was uns unterschiedlich geprägt hat? Und wie zeigt sich das Verhalten von unsicheren Bindungstypen in Beziehungen?

Diese Fragen kläre ich in diesem Artikel.

Zuerst schauen wir uns einmal die Bindungstheorie zu den 4 Bindungstypen von Bowlby und Ainsworth an. Falls du dich nur für das Verhalten und nicht die Hintergründe interessierst, kannst du diesen Abschnitt natürlich auch überspringen. 

Was ist die Bindungstheorie?

Die Bindungstheorie, ursprünglich von dem britischen Psychoanalytiker John Bowlby entwickelt, ist ein psychologisches Konzept, das die Bedeutung der frühen emotionalen Bindungen zwischen Kindern und ihren Eltern oder primären Bezugspersonen beschreibt. Laut Bowlby beeinflussen diese frühen Bindungen die emotionale und soziale Entwicklung eines Kindes und haben langfristige Auswirkungen auf die Beziehungen und das Verhalten im Erwachsenenalter.

Bowlbys Theorie besagt, dass Kinder ein angeborenes Bedürfnis nach Nähe und Schutz von einer Bezugsperson haben, denn das erhöht ihre Überlebenschancen. Diese Bindung bietet nicht nur physischen Schutz, sondern auch emotionale Sicherheit und Unterstützung.

Später erweiterte die Entwicklungspsychologin Mary Ainsworth die Theorie und führte empirische Untersuchungen durch, die zur Identifikation unterschiedlicher Bindungstypen führten. Durch das „Fremde-Situations-Test“-Experiment konnte Ainsworth unterschiedliches Bindungs- und Explorationsverhalten sowie  Bindungsmuster bei Kleinkindern beobachten und kategorisieren.

Dieser „Fremde-Situations-Test“ ist genauer gesagt ein experimentelles Verfahren, das die Psychologin Mary Ainsworth entwickelt hat, um die Bindung zwischen Kleinkindern und ihren primären Bezugspersonen zu untersuchen. Das Experiment zielt darauf ab, das Verhalten des Kindes in einer fremden Umgebung in Anwesenheit und Abwesenheit ihrer Bezugsperson zu beobachten. Es besteht aus acht kurzen Episoden, die jeweils etwa drei Minuten dauern. Dies waren die wesentlichen Schritte des Experiments:

1. Mutter und Kind betreten den Raum: Das Kind und seine Mutter (Bindungsperson) kommen in einen unbekannten Raum mit Spielzeug und einem Stuhl für die Mutter.
2. Freies Spiel: Das Kind spielt im Raum, während die Mutter  anwesend ist. Diese Phase dient dazu, das Ausgangsverhalten des Kindes zu beobachten.
3. Eintreten einer fremden Person: Die Person betritt den Raum, unterhält sich kurz mit der Mutter und versucht dann, den Kontakt mit dem Kind aufzunehmen.
4. Mutter verlässt den Raum: Die Mutter verlässt unauffällig den Raum und lässt das Kind mit der unbekannten Person allein. Dies testet die Reaktion des Kindes auf das Fehlen der Bezugsperson.
5. Erste Wiedervereinigung: Die Mutter kehrt zurück und die unbekannte Person verlässt den Raum. Diese Phase beobachtet die Reaktion des Kindes auf die Rückkehr der Mutter.
6. Mutter verlässt erneut den Raum: Die Mutter verlässt wieder den Raum, diesmal lässt sie das Kind alleine.
7. Fremde Person kehrt zurück: Die Person betritt erneut den Raum und versucht, das Kind zu trösten, falls es aufgeregt ist.
8. Zweite Wiedervereinigung: Die Mutter kehrt zurück und die fremde Person verlässt den Raum. Diese letzte Phase bewertet erneut die Reaktion des Kindes auf die Rückkehr der Mutter.

Durch die Analyse der Verhaltensweisen des Kindes in diesen verschiedenen Phasen – insbesondere der Trennungsangst und der Reaktion auf die Wiedervereinigung – konnte Ainsworth die vier Bindungstypen (sicher, unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent und desorganisiert) identifizieren. Dieses Experiment hat maßgeblich zur Weiterentwicklung und Validierung der Bindungstheorie beigetragen.

Die 4 Bindungstypen bei Kindern

Diese Theorie setzt also die Grundlage dafür, dass es nun die Lehre von 4 Bindungstypen gibt, mit denen man bestimmte Verhaltensmuster in Beziehungen einordnen kann. Diese vier Haupttypen der Bindung werden als sicher, unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent und desorganisiert beschrieben. Jede dieser Bindungsvarianten hat einzigartige Merkmale und Auswirkungen auf die Entwicklung und das Verhalten in Beziehungen von Menschen. Wie sich das unterschiedliche  Bindungsverhalten von Kindern in den zuvor beschriebenen Experimenten zeigte, siehst du hier: 

Sicher gebundene Kinder

Sicher gebundene Kinder zeigen Vertrauen in ihre Bezugspersonen und fühlen sich sicher, ihre Umgebung zu erkunden. Sie wissen, dass sie bei Bedarf Unterstützung und Trost finden. Merkmale dieser Kinder umfassen:

  • Explorationsverhalten: Diese Kinder fühlen sich wohl, ihre Umgebung zu erkunden, wenn die Bezugsperson anwesend ist.
  • Trennungsangst: Sie zeigen mäßige bis starke Anzeichen von Stress, wenn die Bezugsperson den Raum verlässt.
  • Freude bei Wiedervereinigung: Wenn die Bezugsperson zurückkehrt, suchen sie sofortigen Kontakt und lassen sich leicht beruhigen.

Sichere Bindungen entstehen durch konsistente, responsive und liebevolle Fürsorge der Bezugsperson. Kinder, die diese Form der Bindung entwickeln, neigen dazu, selbstbewusster und sozial kompetenter zu sein.

Unsicher-vermeidende Bindung

Kinder mit einer unsicher-vermeidenden Bindung zeigen ein Muster der Vermeidung und Gleichgültigkeit gegenüber ihrer Bezugsperson. Merkmale dieser Bindung sind:

  • Geringe Trennungsangst: Sie zeigen wenig bis keine sichtbare Stressreaktion, wenn die Bezugsperson den Raum verlässt.
  • Vermeidung von Nähe: Bei der Wiedervereinigung vermeiden sie aktiven Kontakt und zeigen oft gleichgültiges Verhalten.

Diese Bindungsform resultiert häufig aus einer zurückweisenden oder emotional unzugänglichen Fürsorge. Diese Kinder lernen, ihre emotionalen Bedürfnisse zu unterdrücken, da sie wiederholt die Erfahrung machen, dass ihre Bezugspersonen nicht zuverlässig auf ihre Bedürfnisse reagieren.

Unsicher-ambivalente Bindung

Kinder, die ambivalent – unsicher gebunden sind, zeigen ein hohes Maß an Angst und Unsicherheit in Bezug auf ihre Bezugsperson. Ihre Verhaltensweisen umfassen:

  • Intensive Trennungsangst: Sie zeigen starke Stressreaktionen, wenn die Bezugsperson den Raum verlässt.
  • Ambivalentes Verhalten bei Wiedervereinigung: Bei der Wiedervereinigung suchen sie zwar Kontakt, zeigen aber gleichzeitig Widerstand, Wut oder klammern und weinen.

Diese Kinder erfahren inkonsistente Fürsorge: Die Bezugsperson ist manchmal verfügbar und offen für Kontakt, manchmal jedoch nicht. Dies führt zu einem ständigen Zustand der Unsicherheit und des Misstrauens gegenüber der Verlässlichkeit der Bezugsperson.

Desorganisierte Bindung

Diese Bindung ist der seltenste und oft schwerwiegendste Bindungstyp. Kinder mit dieser Bindung zeigen ein auffälliges und oft widersprüchliches Verhalten gegenüber ihrer Bezugsperson. Merkmale sind:

  • Widersprüchliches Verhalten: Diese Kinder zeigen gleichzeitig Annäherung und Vermeidung oder frieren ein, wenn sie ihre Bezugsperson sehen.
  • Desorientierung: Ihr Verhalten kann chaotisch und schwer vorhersehbar sein.

Diese Bindungsform ist häufig das Ergebnis von Missbrauch, Vernachlässigung oder schwerem Trauma. Die Bezugsperson ist sowohl eine Quelle der Sicherheit als auch der Angst, was zu tiefen inneren Konflikten und Desorganisation führt.

Die Bindungstheorie und die damit verbundenen Bindungstypen bieten wertvolle Einblicke in die frühe emotionale Entwicklung und deren langfristige Auswirkungen auf das Leben eines Menschen. Indem du die verschiedenen Bindungstypen verstehst, kannst du nicht nur die Dynamik in deinen eigenen Beziehungen besser nachvollziehen, sondern auch Wege finden, um gesündere und sicherere Bindungen  aufzubauen.

Doch wie verhalten sich diese 4 Bindungstypen nun in erwachsenen Beziehungen zu anderen Menschen? 

Das Bindungsverhalten der 4 Typen in erwachsenen Beziehungen

Wie sieht es nun mit den Bindungstypen im Erwachsenenalter aus? Was passiert, wenn der/die Erwachsene eine emotionale Beziehung eingeht? Anhand dieser Beschreibungen kannst du herausfinden, wie sich die vier Bindungstypen typischerweise in romantischen und anderen engen Beziehungen verhalten:

1. Sicher gebundene Personen

Menschen, die sichere Bindungsmuster haben, sind mit einem positivem Selbstbild und positivem Bild von anderen gesegnet. Sie fühlen sich wohl in engen Beziehungen und haben keine übermäßigen Ängste vor Verlassenwerden oder Intimität. Charakteristika ihres Beziehungsverhaltens umfassen:

  • Vertrauen und Sicherheit: Sie vertrauen ihrem Partner und fühlen sich wohl in der Beziehung.
  • Offene Kommunikation: Sie kommunizieren klar und offen über ihre Gefühle und Bedürfnisse.
  • Unabhängigkeit und Abhängigkeit: Sie können sowohl alleine sein als auch Nähe genießen, ohne sich überwältigt zu fühlen.
  • Konfliktbewältigung: Sichere Bindungstypen gehen konstruktiv mit Konflikten um und suchen nach Lösungen.

2. Unsicher-vermeidende Bindung

Laut der Bindungstheorie haben Menschen dieses Bindungstyps oft Schwierigkeiten, sich emotional zu öffnen und Nähe zuzulassen. Ihr Verhalten in Beziehungen zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:

  • Distanz und Unabhängigkeit: Sie bevorzugen emotionale Distanz und legen großen Wert auf Unabhängigkeit.
  • Vermeidung von Intimität: Sie vermeiden enge emotionale Bindungen und können Schwierigkeiten haben, ihre Gefühle auszudrücken.
  • Geringe Trennungsangst: Sie zeigen wenig bis keine sichtbare Stressreaktion bei Trennungen, da sie sich emotional distanzieren.
  • Vermeidungsverhalten: Bei Konflikten oder emotionalen Anforderungen ziehen sie sich oft zurück.
  • Negatives Selbstbild: Ihr Selbstwert ist oft gering, doch dies kann auch unterbewusst ablaufen und sich unter einem falschen „grandiosen“ Selbstbild verstecken.

Diese Menschen haben unterbewusst auch ein Nähe Bedürfnisse und lassen sich daher zum Beispiel auf Dating oder lockere Beziehungen ein. Dies sind meistens jedoch die Menschen, die dazu neigen andere zu ghosten oder schnell Beziehungen abzubrechen. Doch hier ist etwas Vorsicht geboten. Nicht jeder der ghostet hat dieses Beziehungsmuster. Für so ein Verhalten kann es auch andere Gründe geben.

3. Unsicher-ambivalente Bindung

Menschen mit einer unsicher-ambivalenten Bindung haben ein starkes Bedürfnis nach Nähe und Bestätigung, sind jedoch oft von Unsicherheit und Verlustangst geplagt. Ihr Beziehungsverhalten beinhaltet:

  • Starke Bedürftigkeit: Sie suchen ständig nach Bestätigung und Nähe vom Partner.
  • Eifersucht und Misstrauen: Sie neigen zu Eifersucht und haben oft Angst, verlassen oder zurückgewiesen zu werden.
  • Starke Trennungsangst: Sie zeigen intensive Angst und Stress bei Trennungen, auch wenn sie nur vorübergehend sind.
  • Schwankende Emotionen: Ihre Gefühle können stark schwanken, was zu einem instabilen und oft chaotischen Beziehungsverhalten führt.
  • Selbstbild: Auch diese Bindungstypen können ein negatives Bild von sich selbst und einen niedrigen Selbstwert haben. Daher suchen sie ständig nach Beweisen und Bestätigung dafür, dass sie geliebt werden.

Solche Menschen tendieren manchmal dazu, viel zu kommunizieren. Um sich stets abzusichern, dass der Partner:in noch interessiert ist, schreiben sie zum Beispiel oft und viele Textnachrichten oder rufen an. Für Menschen mit dem gleichen Bindungsstil kann das sehr angenehm sein, denn es beruhigt sie. Doch für Personen mit dem vermeidenden Stil kann das z.B. zu einem Stress Trigger werden.

4. Desorganisierte Bindung

Menschen mit dieser Bindung haben oft widersprüchliche und chaotische Verhaltensweisen in Beziehungen, da ihre frühen Bindungserfahrungen von Trauma oder Missbrauch geprägt sein können. Traumatische Erfahrungen prägen das Beziehungsverhaltens wie folgt:

  • Widersprüchliches Verhalten: Sie zeigen gleichzeitig Annäherung und Vermeidung, was für ihre Partner verwirrend sein kann.
  • Angst und Unsicherheit: Sie haben tiefsitzende Ängste und Unsicherheiten, die Beziehungen stark belasten können.
  • Schwierigkeiten mit Vertrauen: Sie haben Schwierigkeiten, anderen zu vertrauen, und können unvorhersehbare oder impulsive Reaktionen aufzeigen.
  • Hohe Konflikthäufigkeit: Beziehungen können oft von Konflikten und emotionaler Unruhe geprägt sein.

Das Verhalten dieser Menschen wirkt wie eine Kombination der beiden anderen unsicheren Bindungsstile. Das kann für Partner:innen extrem verwirrend und emotional belastend sein.


Wenn du das Verhalten der sicheren und unsicheren Bindungstypen verstehst und dich in die verschiedenen Bindungstypen hineinzuversetzen lernst, kann das dein Beziehungsleben erheblich erleichtern.  

Im Laufe des Lebens wirst du immer wieder mit Menschen in Kontakt kommen, die andere Bindungstypen aufweisen, oder vielleicht stehst du dir mit deinem inkonsistenten Verhalten sogar selbst im Weg und bist von diesen Mustern betroffen.

Das Verständnis für die ursprünglichen Bedürfnisse des Kindes (bzw. des inneren Kindes) hilft nicht nur dabei, die eigene Beziehungsdynamik besser zu verstehen, sondern auch, empathischer und effektiver mit Partnern und nahestehenden Personen umzugehen. Indem wir unsere Bindungsmuster erkennen, können wir daran arbeiten, gesunde und erfüllende Beziehungen zu führen.

Ein gutes Buch zum Thema Bindungstypen und auflösen der Muster ist: Jeder ist beziehungsfähig von Stefanie Stahl.

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Autor

  • Gründerin vom Wise Woman Magazine | Kommunikationswirtin | Ernährungsberaterin nach traditioneller chinesischer Medizin | Coach für kognitive Verhaltenstherapie Techniken

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